Der Zeit voraus – seit 180 Jahren

180 Jahre Glashütter Uhrmacherkunst. Die Manufaktur Glashütte Original feiert ihr reiches Erbe in einer mehrteiligen Newsletter-Reihe. Entdecken Sie, wie jede Generation von Uhrmachern der Zeit ihren Stempel aufgedrückt hat.

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1845

Wie Glashütte das metrische System im Uhrmacherhandwerk etablierte

Vor 180 Jahren beginnt eine große Vision im kleinen Maßstab. Mit dem Aufbau seines Betriebs in Glashütte führt Ferdinand Adolph Lange als erster Uhrenhersteller weltweit das metrische System ein – damals ist dieses noch ein neuartiges Konzept, das mit verschiedenen regional verbreiteten Einheitensystemen konkurriert. In Kontinentaleuropa verwenden Uhrmacher bis dahin typischerweise die Pariser Linie, die ungefähr 2,26 Millimetern entspricht.

Messgeräte aus dieser Zeit nutzen üblicherweise die Teilung durch zwölf. Bei der Berechnung und Vermessung der filigranen Bauteile eines Uhrwerks ergeben sich so jedoch Toleranzen, die erhebliche Ungenauigkeiten nach sich ziehen können. Ferdinand Adolph Lange erkennt das Potenzial des metrischen Systems und etabliert es in Glashütte rund drei Jahrzehnte bevor es in Deutschland verbindlich eingeführt wird.

1851

Gleichzeitig entwickelt er spezialisierte Messinstrumente für die praktische Anwendung in der Uhrmacherei. Das sogenannte Dosenmikrometer erlaubt eine bis dahin ungekannte Präzision auf 1/100 Millimeter genau. Im Jahr 1851 hält Lange dazu fest:
„Mein erster und entscheidender Schritt war ein Maß zu construiren um mit größtmöglicher Genauigkeit jedwedes berechnete Verhältnis im kleinsten Maasstabe auszuführen.“

Rund ein Jahrhundert später fließt die von Ferdinand Adolph Lange gegründete Uhrenfabrik in den VEB Glashütter Uhrenbetriebe ein. Als offizieller Rechtsnachfolger des einstigen Staatskonzerns führt die Glashütter Uhrenbetrieb GmbH die Vision höchster Genauigkeit bis heute fort. Seit 1994 verwendet sie den Markennamen Glashütte Original als klares Bekenntnis zu ihren Wurzeln und als Ausdruck ihrer geschichtlichen Sonderstellung.

Mittlerweile erlauben modernste Fertigungstechniken beispiellose Präzisionsarbeit mit Toleranzen von wenigen tausendstel Millimetern. Um ihren hohen Qualitätsansprüchen gerecht zu werden, stellt die Manufaktur weiterhin viele ihrer Prüfmittel selbst her, beispielsweise um die Wölbung eines Zifferblatts exakt zu kontrollieren.

1845

Die Deutsche Uhrmacherschule Glashütte

Als sich Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Uhrmacher in Glashütte niederließen, dauerte die Reise in die 30 Kilometer entfernte Stadt Dresden drei Tage. Die abgelegene Region im Erzgebirge hatte zuvor über Jahrhunderte vom Bergbau gelebt. Doch mit schwindenden Rohstoffvorkommen fürchtete die einheimische Bevölkerung um ihre Existenzgrundlage.

Dass die Uhrmacherkunst ausgerechnet in Glashütte Fuß fasste, hatte die Stadt nicht dem Zufall zu verdanken. Es handelte sich um ein wohlgeplantes, vom Königreich Sachsen unterstütztes Projekt, um der Gegend eine neue Perspektive zu geben. Die Regierung stellte ihre finanziellen Mittel jedoch nicht für den Bau von Fabriken bereit, sondern allein für die Ausbildung von Uhrmachern – und legte damit den Grundstein für eine Industrie, in deren Mittelpunkt von Anfang an die Weitergabe von Wissen stehen sollte.

In wenigen Jahren schaffte es Glashütte, von einer ärmlichen Bergbaustadt zu einer internationalen Institution in der Fertigung hochpräziser Uhren aufzusteigen. Dies war nicht das Werk einer einzelnen Person oder eines einzelnen Betriebs. Es war eine Gemeinschaftsleistung großer Visionäre, die sich gegenseitig unterstützen und untereinander enge Freundschaften unterhielten. Ihr wohl größtes Vermächtnis sollte jedoch die Deutsche Uhrmacherschule Glashütte (DUS) werden.

1878

Am 1. Mai 1878 findet die feierliche Eröffnung statt. Die ersten 16 Schüler werden noch in zwei Räumen des Gemeindeschulhauses von Glashütte unterrichtet. Doch schon ein Jahr später möchten viel mehr Interessenten an der DUS das Uhrmacherhandwerk erlernen, als sie in ihren Räumlichkeiten unterrichten kann. Im Kern der Stadt Glashütte entsteht daher ein eigenes Schulgebäude, das 1881 fertiggestellt wird und Kapazitäten für 60 bis 80 Schüler besitzt. Nach einiger Zeit reichen auch diese Räumlichkeiten nicht mehr aus. Das Gebäude wird daher ab dem Jahr 1921 erweitert und erhält zudem eine eigene Parkanlage mit einem monumentalen Brunnen.

Die DUS besuchen zu dürfen, ist eine Ehre. Unter den Schülern herrscht ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Sie schließen sich zu Schülerverbindungen zusammen, in denen sie gemeinsam ihre Freizeit verbringen und andere Schüler weit über ihre eigene Lehrzeit hinaus unterstützen. Die Absolventen verbreiten das Ethos der Glashütter Uhrenfabrikation in der ganzen Welt und tragen den Titel „Absolvent der Deutschen Uhrmacherschule Glashütte“ ihr Leben lang mit Stolz.

Genauso kommt für viele Uhrmachermeister und erfolgreiche Industrielle aus Glashütte eine Anstellung als Lehrer an der DUS einem Ritterschlag gleich. Der für seine Präzisionspendeluhren und die Erfindung der freien Federkrafthemmung berühmte Uhrenfabrikant Ludwig Strasser gestaltet die Einrichtung von ihrer Gründung an maßgeblich mit. Zunächst möchte er Teil der Firma Strasser & Rohde bleiben. Doch als die Arbeitsbelastung seiner Rolle als Geschäftsführer neben seiner Lehrtätigkeit zu hoch wird, entscheidet er sich für die DUS. 1885 übernimmt er das Amt des Direktors, das er 32 Jahre lang innehaben wird.

1920

Die Deutsche Uhrmacherschule Glashütte verfolgt nicht allein das Ziel, fähige Uhrmacher auszubilden. Sie möchte Innovation fördern. Alfred Helwig, Uhrmachermeister und Lehrer an der DUS, stellt sich im frühen 20. Jahrhundert der Herausforderung, die aufwändigste Komplikation der Uhrmacherkunst weiterzuentwickeln: das Tourbillon. Von Anfang an bezieht er seine Schüler mit in die Arbeit ein. Gemeinsam gelingt es ihnen im Jahr 1920, die Konstruktion erstmals einseitig zu lagern und sie aus dem oberen Teil ihres Käfigs zu befreien. Das sogenannte Fliegende Tourbillon wird zu einer der bekanntesten Glashütter Erfindungen.

Jeden Samstag wird das Schulgebäude damals zum Schauplatz eines besonderen Rituals. Von 8 Uhr bis 8.10 Uhr morgens überträgt die Berliner Sternwarte ein Zeitzeichen über eine der ersten Morseleitungen des Erzgebirges nach Glashütte. Mithilfe einer sogenannten Koinzidenzuhr kann die Uhrzeit auf eine Zehntelsekunde genau geprüft werden. In seinen Schriften schildert Alfred Helwig das Ereignis mit anschaulichen Worten: „Dieses Abnehmen des Zeitsignals war geradezu eine feierliche Handlung, begleitet von größter Lautlosigkeit im ganzen Hause, damit man das Zusammenfallen der Schläge genauestens höre. Direktor und Lehrer waren anwesend, und jedesmal wurden einige Schüler zugezogen, damit sie nach und nach alle den Zeitsignal-Empfang kennenlernten.“

Für viele Jahrzehnte bildet die DUS den gesellschaftlichen Kern der Glashütter Uhrenindustrie. Aus der Gemeinschaft unabhängiger Betriebe entsteht im Jahr 1951 ein Konzern in Staatsbesitz, der VEB Glashütter Uhrenbetriebe. Nach der Deutschen Wiedervereinigung tritt die Glashütter Uhrenbetrieb GmbH die Rechtsnachfolge des einstigen Staatskonzerns an und wird damit gleichzeitig zur alleinigen Erbin der historischen Uhrenindustrie ihrer Heimatstadt. Heute bündelt sie das bis ins Jahr 1845 zurückreichende Vermächtnis in der Marke Glashütte Original.

Dazu gehört auch, dass der handwerkliche Nachwuchs des Betriebs noch immer im selben Gebäude ausgebildet wird wie schon im Jahr 1881. Seit 2002 trägt die firmeneigene Uhrmacherschule den Namen von Großmeister Alfred Helwig. Die jungen Uhrmacher, Zerspanungsmechaniker und Werkzeugmechaniker, die hier Jahr für Jahr ihren Abschluss machen, stellen mit ihren Ideen sowie ihrem Tatendrang die Zukunft der Glashütter Handwerkskunst sicher.

 

Glashütte Original ist den Idealen seiner Vorfahren stets treu geblieben. Mit derselben Innovationskraft, auf der sich ihr Erfolg einst begründete, strebt die Manufaktur weiterhin nach absoluter Perfektion. Hinter den Kulissen führen die Konstrukteure und Uhrmacher des Hauses die Arbeit großer Vordenker wie Alfred Helwig zielstrebig fort. Mit dem patentierten Flyback Tourbillon gelang es ihnen, Helwigs genialen Mechanismus noch einmal entscheidend weiterzuentwickeln. So bringt eine Vertikalkupplung das Herzstück des Senator Chronometer Tourbillon beim Ziehen der Krone zum Stillstand. Wird die Krone auf die nächste Position gezogen und dort gehalten, rotiert der Tourbillonkäfig in einer sanften Drehung zurück zur Nullmarkierung des Sekundenzeigers an seiner Spitze. Mit dem Drücken der Krone setzt sich der Wirbelwind mühelos wieder in Bewegung. Eine technische Meisterleistung, vor der sich wohl sicher auch der Meister selbst verneigt hätte.

1926

Die Glashütter Armbanduhr

Armbanduhren, die mit Taschenuhren Schritt halten. Ein Anspruch, an dem die Glashütter Uhrenindustrie vor rund 100 Jahren fast gescheitert wäre. Für die beispiellose Qualität ihrer Taschenuhren und Großuhren war die kleine Stadt im Erzgebirge längst weltberühmt. Doch Inflation und Exporteinbruch infolge des Ersten Weltkriegs sowie die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre trafen die Glashütter Uhrenhersteller schwer. Was ihnen jedoch schließlich zum Verhängnis zu werden drohte, war eine entscheidende Marktentwicklung, die man in Glashütte beinahe verschlafen hätte.

Als präziser und zuverlässiger Begleiter hatte die Taschenuhr um die Jahrhundertwende einen festen Platz in der Fracktasche jedes situierten Mannes. Armbanduhren wurden bis dahin lediglich vereinzelt im Militär oder auf Expeditionen verwendet – heute würde man diese wohl als „Tool Watches“ bezeichnen. Doch nach und nach findet die Armbanduhr ihren Weg in den Alltag. Im Jahr 1930 werden in Deutschland erstmals genauso viele Armbanduhren wie Taschenuhren verkauft. Bis 1934 steigt der Anteil von Armbanduhren auf 65 Prozent an, wie zeitgenössische Marktanalysen belegen.

In Glashütte tut man diese Entwicklung als kurzlebigen Modetrend ab und steht der Armbanduhr skeptisch gegenüber: Genauigkeit und Zuverlässigkeit der damals verbreiteten Armbanduhrkaliber reichen nicht an die Standards heran, mit denen die Betriebe in Glashütte seit Jahrzehnten Taschenuhren fertigen. Doch manch einer scheitert an den eigenen Ansprüchen. Die Deutsche Präzisions-Uhren-Fabrik Glashütte (DPUG), damals größte Produktionsgenossenschaft Deutschlands, meldet im Jahr 1926 Konkurs an.

 

Aus der Insolvenzmasse gründen sich im darauffolgenden Jahr zwei Schwesterbetriebe, die von Anfang an eine große Vision verfolgen. Als erste Firmen in Glashütte konzentrieren die Uhren-Rohwerkefabrik AG (UROFA) und die Uhrenfabrik AG Glashütte (UFAG) ihre Kräfte auf die Fertigung von Armbanduhren. Als Geschäftsführer wird Dr. Ernst Kurtz eingesetzt. Dem 38-Jährigen ist der enorme Vorsprung der Konkurrenz bewusst. Um das ehrgeizige Vorhaben zum Erfolg zu führen, muss er die Glashütter Uhrenfertigung neu erfinden.

Neben der Modernisierung sämtlicher Firmenstrukturen legt Dr. Ernst Kurtz großen Wert auf die Ausbildung des betrieblichen Nachwuchses. Im ganzen Ort werden die Lehrlinge des Unternehmens als „UROFA Stifte“ bekannt. Ansehen genießen sie aber nicht nur für ihr handwerkliches Können, sondern auch für ihre Musikalität. Dr. Ernst Kurtz stellt an jeden Lehrling den Anspruch, während seiner Lehrzeit ein Musikinstrument zu erlernen – was die meisten mit Freude und Begeisterung tun. Darüber hinaus finanziert er ein Streichorchester aus Uhrmacherlehrlingen, das regelmäßig Konzerte in Glashütte veranstaltet. Neben der Musik wird Feldhandball zur beliebtesten sportlichen Aktivität der Lehrlinge. Drei Handballmannschaften bilden sich in Glashütte. Um ihnen die Lehrzeit so komfortabel wie möglich zu gestalten, fördert Dr. Ernst Kurtz die Gründung eines Wohnheims für anfangs 20 und später 40 Lehrlinge.

 

Das Kaliber 58 markiert einen Durchbruch für den Betrieb – und das in zweierlei Hinsicht. Bei der Entwicklung des Werks priorisieren die Konstrukteure ein großes Federhaus, dem sie eine ähnlich groß dimensionierte Unruh gegenüberstellen. Ein bewährtes Prinzip aus dem Bau von Taschenuhren, das die UROFA in ein miniaturisiertes Format überträgt. Mit dem Ziel, die mechanischen Komponenten auf möglichst wenig Raum unterzubringen, setzen die Konstrukteure den Sekundentrieb nicht direkt in den Kraftfluss. Stattdessen entwerfen sie einen indirekten Antrieb, der es ihnen ermöglicht, den Sekundenzeiger vertikal über dem Federhaus zu montieren.

Ein Geniestreich gelingt Dr. Ernst Kurtz mit der Vermarktung des Kalibers 58 unter dem Namen „Raumnutzwerk“, der die Besonderheit seiner Konstruktionsweise bildlich greifbar macht. Die groß angelegte Kampagne hebt die clevere Konstruktionsweise des 20 x 28 mm messenden Werks mit einer Bauhöhe von 4 mm hervor und stellt seine Leistung mit der von Taschenuhren gleich. Die Strategie trifft den Nerv der Zeit und macht das Kaliber 58 zum Verkaufserfolg. Die UFAG setzt einen Teil der Werke zu fertigen Uhren zusammen und versieht die Zifferblätter meist mit einem G für Glashütte.

 

Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs betraut man die UROFA mit der Entwicklung eines speziellen Chronographen. Die Uhr soll einem Druck von 15 bar über mindestens anderthalb Stunden standhalten können und über einen Flyback-Mechanismus sowie über eine Stoßsicherung verfügen. Zudem muss das Werk eine Ganggenauigkeit von -3 bis +12 Sekunden pro Tag gewährleisten – und das zuverlässig bei Temperaturen zwischen -10 und +40 Grad Celsius. Mit dem Kaliber 59 Flieger-Chronographen schaffen es die Konstrukteure der UROFA, alle Anforderungen zu erfüllen.

 

Einen Teil der Werke stattet die Firma sogar mit noch höherwertigen Komponenten aus. Angelehnt an das lateinische Wort „tutus“, was so viel wie sicher oder geschützt bedeutet, versieht die UFAG die Zifferblätter dieser Uhren mit der Aufschrift „Tutima“. Dr. Ernst Kurtz berichtete persönlich über die Entstehung dieser Kennzeichnung, die man heute als Gütesiegel bezeichnen würde:

„Auf der Suche nach einem Namen für Uhren mit besonderer Qualität wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben. Die Siegerin, die den Preis erhielt, war eine Mitarbeiterin des Betriebes. Mit der Veränderung eines Buchstabens entstand dann der Begriff Tutima.“

Die Firma A. Lange & Söhne hat zu Beginn der 1940er Jahre noch immer kein Armbanduhrkaliber entwickelt. Die wenigen Armbanduhren, die der Betrieb bis zu dieser Zeit verkauft hat, basieren größtenteils auf eingekauften Werken von der benachbarten UROFA. Um der Nachfrage nach Fliegeruhren nachzukommen, funktioniert A. Lange & Söhne stattdessen Taschenuhrwerke um. So zum Beispiel das Kaliber 48, das ursprünglich für Beobachtungsuhren entwickelt wurde. Aufgrund der Abmessungen des Werks nehmen die Uhren gigantische Dimensionen an. Mit einem Gehäusedurchmesser von 65 mm eignen sie sich jedoch bestens für Piloten, die ihre Uhr nicht direkt um den Arm, sondern über den Ärmeln ihrer gefütterten Lederjacken tragen.

 

In Glashütte endet der Zweite Weltkrieg am 8. Mai 1945 mit einem Bombenangriff der sowjetischen Luftstreitkräfte. Die Uhrenindustrie der teilweise zerstörten Stadt liegt am Boden. Die beiden Schwesterbetriebe UROFA und UFAG sowie die Firma A. Lange & Söhne geraten in Staatsbesitz. Ab 1951 vereint der VEB Glashütter Uhrenbetriebe all ihre Produktionskapazitäten unter einem Dach. Mit der deutschen Wiedervereinigung wird das Unternehmen privatisiert und im Jahr 1991 als Glashütter Uhrenbetrieb GmbH ins Handelsregister eingetragen. Seit 1994 führt diese den Markennamen Glashütte Original.

Die Glashütter Uhrenindustrie kann auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken, in der Höhen und Tiefen, Licht und Schatten mitunter dicht aufeinanderfolgen – das hat dieses 3. Kapitel unserer Serie anlässlich ihres 180. Jubiläums gezeigt. Glashütte Original ist es ein Anliegen, dieses historische Erbe zu bewahren. Dazu zählt auch die Geschichte von Dr. Ernst Kurtz und seinen „UROFA Stiften“, die die Armbanduhr nach Glashütte brachten. Die Kunst, ein möglichst vollkommenes Uhrwerk auf begrenztem Raum zu konstruieren, haben sie und ihre Nachfolger mit der Zeit immer weiter entwickelt.

 

Die Serenade Luna ist das jüngste Beispiel, wie Glashütte Original diese Disziplin heute interpretiert. Hinter ihrem Markenzeichen, der übergroßen Mondphase, steckt eine Mondscheibe, die fast über die gesamte Oberfläche des Manufakturkalibers 35 spannt. Anstelle der üblichen zwei Monde besitzt sie vier kreisrunde Abbildungen eines filigranen Nachthimmels. Die Form des Mondes kommt optisch durch die Überschneidung mit dem Mondfenster zustande. Dank einer integrierten Bauweise baut die Mondphasenanzeige kaum an Höhe auf und erreicht dennoch eine Genauigkeit von nur einem Tag Abweichung in 122 Jahren.

1945

Erfindungsreichtum und Beharrlichkeit – seit 180 Jahren

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs liegt die Glashütter Uhrenindustrie in Schutt und Asche. Die Mitarbeiter der Uhrenbetriebe retten, was zu retten ist – leitende Angestellte verstecken fertige Uhren bei sich zu Hause, um sie vor den Plünderungen der Roten Armee zu retten. Ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten sich, als die sowjetische Besatzungsmacht im August 1945 die Demontage der Glashütter Uhrenindustrie anordnet.

„Sie nahmen alles mit… alle Maschinen, jeden Schraubenzieher, jede Blaupause, jede Zeichnung, die Werkbänke, einfach alles“, berichtet eine Zeitzeugin und ehemalige Mitarbeiterin der UROFA – dem damals größten Uhrenhersteller in Glashütte. Sämtliche Maschinen und Werkzeuge sowie die verbliebenen Produktionsbestände des Betriebs werden in Holzkisten verpackt und mithilfe von 32 Lastwagen mit je 10 Tonnen Nutzlast abtransportiert.

 

Die Menschen in Glashütte stehen vor dem Nichts. In Eigeninitiative beginnen sie damit, sich die Materialien selbst herzustellen, die sie benötigen, um ihre Arbeit wieder aufnehmen zu können. Es stellt sich als Glück im Unglück heraus, dass die Sowjets bei ihren Konfiszierungen die Gussmodelle einiger Maschinen zurückgelassen haben. Dank dieser kann eine nahegelegene Eisengießerei kompliziertes Equipment wie Drehbänke oder Fräsmaschinen von neuem herstellen. Andere Gerätschaften werden von den Glashütter Werkzeugmachern teils vollständig aus dem Gedächtnis nachgebaut. Es entsteht ein starkes Gefühl von Gemeinschaft, in dem sich die Betriebe auch gegenseitig dringend benötigte Maschinen ausleihen.

Nur wenige Monate nach Kriegsende können wieder kleine Stückzahlen von Uhren montiert werden, für die noch Restbestände an Bauteilen existieren. Da sämtliche Zulieferbetriebe ihre Produktion eingestellt haben und einige wichtige Komponenten nicht vor Ort nachgefertigt werden können, ist die Fertigung der Werke aus Vorkriegszeiten jedoch nicht langfristig praktikabel. Helmut Klemmer, einer der leitenden Konstrukteure der UROFA, beginnt daher mit der Entwicklung eines neuen Kalibers. Sein stringentes Ziel ist dabei von Anfang an die „unbedingte Eigenproduktion aller Komponenten der Armbanduhr.“

 

Bereits am 6. Oktober 1945, nur fünf Monate nach der Kapitulation Deutschlands, ist die erste Konstruktionszeichnung des Kalibers 61 fertiggestellt. Es basiert im Wesentlichen auf dem Kaliber 60, das sich vor Kriegende bereits in einer fortgeschrittenen Entwicklungsphase befand, jedoch nicht mehr finalisiert werden konnte. Allerdings ist das Kaliber 61 technisch den neuen Gegebenheiten angepasst, in denen viele Bauteile nicht mehr verfügbar sind oder nur in geringen Stückzahlen selbst produziert werden können. Die Grundplatine sowie die Räderbrücke im Stil einer Dreiviertelplatine sind aus dünnem Blech gefertigt. Das einzige gefräste Teil des Werks ist der Unruhkloben.

Ab 1946 werden die ersten Uhren auf Basis des Kalibers 61 montiert. Zwar handelt es sich schon nach dem damaligen Verständnis um eine Notlösung, dennoch kehrt in diesen Tagen eine gewisse Aufbruchsstimmung ein. Davon zeugt auch die Handgravur „UROFA 61 – Wiederaufbau 1. Serie“, die häufig auf diesen Uhren zu finden ist. Die sowjetischen Besatzer lassen die Glashütter stillschweigend gewähren, ziehen aber zunächst den größten Teil der produzierten Uhren als Reparationsleitungen ein.

 

Trotz aller Widrigkeiten gelingt es den Betrieben, ihre Fertigungsmengen in den darauffolgenden Jahren langsam zu steigern. Gleichzeitig wird die ostdeutsche Industrie zu einer sozialistischen Planwirtschaft umgebaut. Die frischgegründete Deutsche Demokratische Republik stellt 1950 ihren ersten Fünfjahresplan vor, der die Verteilung von Ressourcen und die Produktionsziele in ihrem gesamten Wirtschaftsraum diktiert. Private Unternehmen werden dabei gegenüber staatlichen Betrieben stark benachteiligt.

Es mag widersinnig erscheinen, dass UROFA und UFAG aus eigenen Stücken ihre Überführung in staatlichen Besitz beantragen. Die Sorge vor einem eklatanten Versorgungsmangel sowie die drohende Abberufung von Arbeitskräften machten diesen Schritt aber wohl zur einzigen Option, um in den neuen Strukturen fortexistieren zu können. Im Jahr 1951 werden die Schwesterbetriebe zum Volkseigentum und mit der bereits drei Jahre zuvor verstaatlichten Firma Lange & Söhne verschmolzen. Aus dieser Fusion entsteht der VEB Glashütter Uhrenbetriebe (GUB), der für die für die nächsten vier Jahrzehnte eine Monopolstellung als einziger Uhrenhersteller in Glashütte innehaben wird.

1964

In der Mangelwirtschaft der DDR sind Luxusgüter oder importierte Waren den wenigsten Einwohnern zugänglich. Wer ein neues Auto kaufen möchte, muss mit 12 bis 15 Jahren Wartezeit rechnen.

Das Produktangebot, das der VEB Glashütter Uhrenbetriebe in dieser Zeit anbieten kann, fällt vor diesem Hintergrund in mehrerlei Sicht aus dem Raster: Zwischen 1951 und 1991 entwickelt der Betrieb vier neue Uhrwerke mit automatischem Aufzug. Ein durchschlagender Erfolg wird das Kaliber 74, das zum Herzstück der 1964 vorgestellten Spezimatic wird. Mit einem Durchmesser von 28 mm und einer Bauhöhe von 5,05 mm orientiert es sich am internationalen Trend zu möglichst schlanken Uhren.

Bis heute gilt die Spezimatic als die erfolgreichste Uhr, die jemals in Glashütte gefertigt wurde. Es gibt sie in dutzenden verschiedenen Farben und – noch ungewöhnlicher für die sozialistische DDR – sogar im Massivgoldgehäuse. Ihren heutigen Kultstatus hat sie jedoch vor allem dem emotionalen Wert zu verdanken, den viele Besitzer mit ihrer Uhr verbinden. Die Spezimatic ist damals ein beliebtes Geschenk für besondere Anlässe und dient manchmal sogar als Ersatz für ein Paar Eheringe. Es sind diese Geschichten und Erlebnisse, wegen derer die Spezimatic einer ganzen Generation in Erinnerung bleibt – und von der nächsten Generation in Ehren gehalten wird.

1978

Im Jahr 1978 stellt der VEB Glashütter Uhrenbetriebe die Spezichron vor und beweist erneut Mut: Inspiriert von der modernistischen Architektur, die in Deutschland damals ganze Stadtbilder prägt, präsentiert sich die neue Uhr unter anderem in einem rechteckigen Gehäuse mit abgerundeten Ecken. Die sogenannte „TV-Form“ ist ein typisches Design ihrer Zeit und wird von Sammlern bis heute für ihre retrofuturistische Ästhetik verehrt. Technisch sticht das Kaliber 11 durch seine auf 4 Hertz erhöhte Schwingfrequenz hervor, durch die sich die Ganggenauigkeit erheblich verbessern lässt.

Während die DDR wirtschaftlich zunehmend in Bedrängnis gerät, verschlechtert sich die Verfügbarkeit zugelieferter Bauteile und Maschinen weiter. Der VEB Glashütter Uhrenbetriebe wirkt dem entgegen, indem er seine eigenen Fertigungskompetenzen weiter ausbaut. Die eigens ins Leben gerufene „Abteilung Sondermaschinenbau“ setzt auf Erfindungsreichtum, um die Herstellung wichtiger Bauteile selbst in die Hand nehmen zu können. Ein aus heutiger Sicht positiver Nebeneffekt ist die dadurch steigende Wertschöpfung im eigenen Haus.

Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung wird der VEB Glashütter Uhrenbetriebe am 16. Oktober 1990 als Glashütter Uhrenbetrieb GmbH ins Handelsregister eingetragen. Nach seiner Privatisierung im Jahr 1994 entschließt das Unternehmen, die große Uhrmachertradition seines Heimatorts künftig unter dem Markennamen Glashütte Original fortzuführen und setzt damit ein klares Zeichen der Kontinuität: Die Marke bezieht ihr Selbstverständnis nicht nur aus der Blütezeit der Uhrenfertigung im 19. Jahrhundert, sondern bekennt sich auch mit Stolz zu seinem uhrmacherischen Erbe aus dem von Krisen und Einschnitten bestimmten 20. Jahrhundert.

Heute bleibt die DDR den meisten Deutschen für ihre Mangelwirtschaft und staatlich gelenkte Ineffizienz in Erinnerung. Dennoch ist sie auch die Geschichte der Entschlossenheit und Kreativität, mit der die Menschen in Glashütte stets das taten, was sie am besten konnten: hochwertige Uhren zu fertigen. Das Know-how im Bau mechanischer Uhrwerke, das hinter dem Eisernen Vorhang auch während der Quarz-Krise erhalten blieb, sowie außergewöhnliche Kompetenzen im Werkzeug- und Maschinenbau gehören fest zur modernen Markenidentität von Glashütte Original. Mit der Vintage-Kollektion zollt die sächsische Manufaktur den Design-Klassikern Spezimatic und Spezichron Tribut, die beide auf ihre eigene Weise Geschichte geschrieben und ihre Zeit geprägt haben.

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